AKW Brokdorf

Zur Geschichte des Atomkraftwerks (AKW) Brokdorf und den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen liegen mehrere Chroniken vor.

Chronik AKW Brokdorf

1972 – 1976: Planung, Baubeginn und Beginn des Widerstandes

Planungsbeginn und Eröffnung des Genehmigungsverfahrens

Der Bau des AKW Brokdorf fiel in eine Zeit, in der offizielle Prognosen fälschlicherweise von einer rasanten Steigerung des Energiebedarfs in Deutschland ausgingen. Die sozial-liberal geführte Bundesregierung setzte auf Atomkraft zur Sicherung des prognostizierten Energieverbrauchs und der Unabhängigkeit von Öl aus den arabischen Staaten. Im Februar 1973 veröffentlichte die Bundesregierung den Entwurf ihres vierten Atomprogramms im Rahmen eines öffentlichen Hearings. Er sah einen Ausbau der Atomkraft und die weitere öffentliche Subventionierung von Atomenergieforschung vor.

Im Oktober 1973 beschloss die rein CDU-besetzte Landesregierung Schleswig-Holstein im Kabinett den Bau eines AKW in Brokdorf an der Unterelbe. In Schleswig-Holstein war seit 1977 das AKW Brunsbüttel in Betrieb, nicht einmal 10 km entfernt von Brokdorf. Für das AKW Krümmel, ebenfalls an der Elbe, lag seit September 1972 ein Vorbescheid zur Standortwahl vor.

Im November 1973 legte die Nordwestdeutsche Kraftwerke AG (NWK), die mit ihren Planungen bereits 1972 begonnen hatte, ihre ersten Unterlagen zur Errichtung des AKW vor. Am 12. März 1974 reichte die NWK ihren Errichtungsantrag offiziell beim schleswig-holsteinischen Sozialminister ein. Mittels eines Informationsplakates versuchte die NWK, die Bürger:innen von der Notwendigkeit und Ungefährlichkeit des Atomkraftwerkes zu überzeugen.

Am 6. August 1974 gab der Sozialminister des Landes Schleswig-Holstein die öffentliche Auslegung der Planunterlagen bekannt. Während der Einspruchsfrist vom 20. August bis 19. September 1974 erhoben die Gemeinde Wewelsfleth sowie mehr als 31.000 Bürger:innen Einspruch gegen den AKW-Bau. Im November 1974 fand der Erörterungstermin statt, der nach vier Tagen von der Landesregierung abgebrochen wurde.

Beginn des Genehmigungsverfahrens

Beginn des Widerstandes

Ein Jahr zuvor, im November 1973, beschlossen acht Bürger:innen – darunter der Bürgermeister von Brokdorf und Wewelsfleth – die Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe (BUU) zu gründen, und bereits einen Monat später führten sie die erste große Informationsveranstaltung durch. Weitere größere Aktionen der BUU waren ein Maifeuer am 30.04.1975 mit mehreren hundert Menschen und ein Theaterstück „Sein oder Nichtsein“, mit dem die BUU durch die Gemeinden in der Wilstermarsch zog. Unterstützt wurde die BUU durch Wissenschaftler:innen der Universitäten in Bremen und Hamburg.

Ende 1975 wurden 20.000 Flugblätter verteilt mit einer „Erklärung der Bürgerinitiativen an die norddeutsche Bevölkerung“. Es wurde angekündigt, den Bauplatz in Brokdorf zu besetzen, sobald der Bau beginnen würde.

Auch das städtische linke Milieu, unterstützt von diversen, sich in ihrer politischen Ausrichtung gegenseitig z.T. stark bekämpfenden K-Gruppen, nahm den geplanten Bau des AKW Brokdorf als Aktionsziel auf. Kommunistischer Bund (KB), Kommunistische Partei Deutschland (KPD), Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW) und Kommunistische Partei Deutschland/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) – alle beteiligten sich an den Protesten und spielten bei den Bauplatzbesetzungen durchaus eine wichtige Rolle.

Der Widerstand formiert sich

Eskalation beim zweiten Erörterungstermin

Im November 1975 legte das Sozialministerium die Unterlagen zum wasserrechtlichen Antrag der NWK öffentlich aus. Dabei ging es um die wasserrechtliche Genehmigung für Entnahme von Kühlwasser aus der Elbe und die spätere Wiedereinleitung des erwärmten und kontaminierten Abwassers aus dem AKW in die Elbe. Die Bürger:innen konnten die Unterlagen zwar einsehen, eine Kopie anfertigen durften sie jedoch nicht. Knapp 6.000 Menschen reichten Einwendungen gegen die Pläne ein.

Vom 8. bis 16. März 1976 fand der zweite Erörterungstermin unter besonderen Bedingungen statt. Mehrere Hundertschaften der Polizei trennten in voller Montur und mit Kampfhunden ohne Maulkorb die Einwender:innen in „Einheimische“ und „Auswärtige“. Die „Auswärtigen“ inklusive der Wissenschaftler:innen, die eigentlich die Sachbeistände der „Einheimischen“ waren, durften nicht zur selben Zeit im Verhandlungssaal anwesend sein wie die Menschen aus der Wilstermarsch. Und dies war nicht die einzige Schikane und Unrechtmäßigkeit während des Termins.

Wasserrechtlicher Erörterungstermin

Demonstration/I und Besetzung des Bauplatzes

Am 25. Oktober 1976 beschloss die Landesregierung die erste Teilgenehmigung für das AKW Brokdorf und versah sie mit einer sofortigen Vollziehbarkeit. D.h., dass Klagen gegen das Projekt keine aufschiebende Wirkung haben können. Um eine Bauplatzbesetzung wie in Whyl zu verhindern, besetzte die Polizei am 26.10. selbst das Gelände, stellte Wasserwerfer auf und ließ einen Bauzaun errichten. Erst danach wurde die Teilgenehmigung öffentlich bekannt gegeben.

Die Kritiker:innen ließen sich davon nicht abschrecken. Am 30. Oktober 1976 demonstrierten etwa 8.000 Menschen in Brokdorf. Trotz massiven Polizeiaufgebotes gelang es etwa 2.000 Menschen, den Bauplatz zu stürmen. Was folgte, war eine Auseinandersetzung, die von Zeitzeug:innen als „bürgerkriegsähnlich“ beschrieben wurde. Selbst in Medien wie der „Zeit“ oder den 20 Uhr-Nachrichten der ARD wurde die Brutalität des Polizeieinsatzes kritisiert.

Mit ihrem Vorgehen konnte die Polizei den Widerstand allerdings nicht brechen. Allein in Hamburg gründeten sich nach dem 30.10. innerhalb weniger Tage 30 Bürgerinitiativen.

Demonstration/I und Bauplatzbesetzung

Demonstration „Brokdorf II“

Die weitere Eskalation folgte bereits zwei Wochen später. Am 13. November 1976 kamen ca. 40.000 Menschen nach Brokdorf, diesmal auf eine gewalttätige Auseinandersetzung vorbereitet. Nach einer stundenlagen „Schlacht“ zogen die Demonstrant:innen wieder ab. Eine erneute Stürmung des Bauplatzes war ihnen nicht gelungen. Die Polizei verteidigte den Platz mit Wasserwerfern und aus Hubschraubern abgeworfenen Tränengasgranaten.

Demonstration/II

1976-1981 Baustopp und Fortsetzung des Widerstandes

Baustopp und das Gerichtsverfahren um die 1. Teilgenehmigung

Am 26. November 1976 reichten mehrere Anwohner:innen Klage gegen die erste Teilgenehmigung (TG) ein und beantragten die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Dem folgte das Verwaltungsgericht Schleswig und verhängte am 15. Dezember 1976 einen vorläufigen Baustopp und bestätigt ihn am 09.02.1977. Erst mit der Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die 1. TG könne weitergebaut werden.

Am 17.10.1977 bestätigte auch das OVG Lüneburg den Baustopp. Die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die 1. TG für das Kernkraftwerk Brokdorf bleibe bestehen, solange kein prüffähiger Antrag auf Zwischenlagerung und geologischer Nachweis für Endlagerung eingeleitet seien.

Zwei Jahre später, im Oktober und November 1979 wurde die Klage gegen die 1. TG mündlich vor dem VG Schleswig-Holstein verhandelt. Am 14. Dezember 1979 informierte das Verwaltungsgericht die Kläger:innen telefonisch, dass ihre Klagen abgewiesen seien. Die Urteilsbegründung wurde drei Monate später zugestellt. Die Kläger:innen legten gegen das Urteil Revision vor dem OVG Lüneburg ein.

Am 22.01.1981 bestätigte das OVG Lüneburg die Aufhebung des Baustopps. Mit der Einleitung eines Genehmigungsverfahrens für eine Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente in Ahaus und der Aufnahme des Standorterkundungsprogramms in Gorleben sah es seine Bedingungen für die Aufhebung eines Baustopps erfüllt.

Klagen gegen die 1. Teilgenehmigung und Baustopp

Demonstration „Brokdorf III“ – Brokdorf oder Itzehoe

Ungeachtet des Baustopps Ende 1976 ging der Widerstand gegen das Projekt weiter. Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen im November 1976 brach die Diskussion über die Aktionsformen innerhalb der verschiedenen Strömungen in der Bewegung auf. Diskutiert wurde über die Möglichkeiten und Grenzen der Bauplatzbesetzungen. Auch die Strategie, strikt außerparlamentarisch zu agieren, wurde infrage gestellt. In Wilster fand am 15./16. Januar 1977 ein Anti-AKW-Kongress mit über 400 Delegierten aus über 150 Initiativen statt. In Hamburg demonstrierten vier Tage später ca. 10.000 Menschen gegen das AKW Brokdorf.

Für die Großdemonstration am 19. Februar 1977 gab es zwei Kundgebungsorte. Die „gemäßigteren“ Kräfte sowie atomkritische Funktionär:innen in der SPD mobilisierten nach Itzehoe, die „radikaleren“ nach Brokdorf. Die Frage „Wo fährst du hin, nach Brokdorf oder Itzehoe?“ wurde zur wichtigen Frage in der Bewegung, an der sich auch Weltanschauungen trennten. Insgesamt reisten etwa 60.000 Menschen nach Itzehoe und Brokdorf. Die Polizei versuchte, die Anreise der Demonstrierenden nach Brokdorf zu verhindern.

Auf der Kundgebung in Itzehoe formulierte der Publizist und Zukunftsforscher Robert Jungk zum ersten Mal den Begriff „Atomstaat“. Robert Jungk: „Mit der technischen Nutzbarmachung der Kernspaltung wurde der Sprung in eine ganz neue Dimension der Gewalt gewagt. Zuerst richtete sie sich nur gegen militärische Gegner. Heute gefährdet sie die eigenen Bürger. Denn „Atome für den Frieden“ unterscheiden sich nicht prinzipiell von Atomen für den Krieg“ (aus Robert Jungk: Der Atomstaat : Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit, München 1977. Signatur: B-1-127).

Demonstration/III

Die Jahre danach

Da die Arbeiten auf dem Bauplatz in Brokdorf ruhten, verlagerte der Teil der Bewegung, der die Projekte über Bauplatzbesetzungen zu Fall bringen wollte, seine Aktivitäten an das AKW Grohnde. Auf den Konferenzen der Anti-AKW-Bewegung wurde über die Aktionen in Brokdorf, Grohnde „und anderswo“, über den Erfolg oder Misserfolg der unterschiedlichen Strategien heftig diskutiert.

Die vielfältigen Aktionen in Brokdorf gingen jedoch weiter. Der Widerstand war – wie überall – bunt, kreativ und vielfältig. Die Bürgerinitiative gegen Atomenergieanlagen (BAA) in Bremen veröffentlichte mehrere Liederbücher.

Nach der Abweisung der Klage gegen die 1. TG im Dezember 1979 kamen am 23.12.1979 4.000 Menschen und 30 Trecker zur Weihnachtsdemo. Ende 1980 wurde bekannt, dass der Baustopp aufgehoben werden sollte, obwohl die Revision vor dem OVG Lüneburg noch nicht verhandelt worden war. Am 21.12.1980 zogen 10.000 Menschen nach Brokdorf. Sie wurden von Polizeisperren an ihrer Aktion gehindert.

Proteste während der Baustopp-Phase

Bundesweite Organisation der Bürgerinitiativen

Die Demonstration am 19. Februar 1977 war die erste bundesweit beschlossene und durchgeführte Großkundgebung gegen eine Atomanlage. Einen Monat später fand die zweite zentrale Demonstration in Grohnde statt. Im Nachgang wurde in verschiedenen Initiativen darüber diskutiert, dass es ein zentrales Treffen geben müsste, um „über taktische und strategische Fragen des Kampfes“, über die „Kriminalisierungsmaßnahmen seitens des Staates und der Atomindustrie“ und über eine bessere Vernetzung in der Anti-AKW-Bewegung zu sprechen. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Unterlebe, die Bürgerinitiative Hameln und die Bürgerinitiative Hannover richteten am 14. und 15. Mai die erste Bundeskonferenz der Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen aus.

Die Konferenz beruhte auf dem Delegiertenprinzip. Jede Bürgerinitiative bekam eine Stimmkarte. Anträge zur Konferenz, inklusive Änderungsanträge zur Tagesordnung wurden vorher schriftlich eingereicht. Die Delegierten bekamen eine 115-seitige Konferenzmappe ausgehändigt. Zur Konferenz kamen etwa 1.000 Menschen aus über 250 Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet sowie dem benachbarten Ausland.

Erste Bundeskonferenz der Anti-AKW-Bewegung

1978/1979 Prozess gegen AKW-Gegner:innen

Derweilen war der Staat unbeirrt in seinem harten Vorgehen gegen die Bürger:innen, die sich gegen die AKW-Projekte wehrten. Am 10.11.1977 klagte die Staatsanwaltschaft Bremen unter anderen den Bremer Physikprofessor Jens Scheer an, „fortgesetzt handelnd… andere öffentlich dazu aufgefordert zu haben, sich an Gewalttätigkeiten gegen Menschen und Sachen… zu beteiligen“, weil er zur Bauplatzbesetzung aufgerufen hatte.

Gegen Prof. Scheer lief seit 1975 ein Berufsverbotsverfahren aufgrund seiner Mitgliedschaft in der KPD. Dank der Unterstützung seiner Kolleg:innen, der Studierenden und einer internationalen Solidaritätskampagne musste das Berufsverbotsverfahren 1980 eingestellt werden.

Wegen seines politischen Engagements liefen vier Strafverfahren gegen Prof. Scheer, davon zwei wegen seines Engagements gegen das AKW Brokdorf. Bis auf eine Bewährungsstrafe wurden alle eingestellt.

Verfolgung von AKW-Gegner:innen

1981-1986: Bauphase II bis Inbetriebnahme

Großdemonstration und „Brokdorf-Urteil“

Am 6. Februar 1981 wurden die Bauarbeiten in Brokdorf wieder aufgenommen. Bereits in den Wochen zuvor war es zu Aktionen mit mehreren Tausend Teilnehmer:innen gekommen. Die Anti-AKW-Initiativen beschlossen, eine weitere zentrale Großdemonstration am 28. Februar in Brokdorf durchzuführen. Fünf Tage vorher verhängte der Landrat ein generelles Demonstrationsverbot für die gesamte Wilstermarsch. Nach mehreren Klagen schränkte das Verwaltungsgericht das Verbot ein. Doch das OVG Lüneburg bestätigte in der Nacht zum 28. Februar das generelle Verbot.

Mehr als 100.000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und West-Berlin machten sich trotzdem unter schweren Behinderungen auf den Weg. Die Bahn stornierte kurzerhand einen gebuchten Sonderzug aus Baden-Württemberg, die Polizei errichtete Sperren, um anreisende Busse an der Anfahrt zu hindern. Über verschiedene zentrale Telefon-Kontaktstellen wurden die Informationen über solche Polizeisperren an die Anreisenden (in Zeiten ohne Mobiltelefon) mehr schlecht als recht weitergegeben.

In der Wilstermarsch kam es erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden. Bei eisigen Verhältnissen setzte die Polizei Wasserwerfer und Hubschrauber gegen die Demonstrant:innen ein. Sonderkommandos verprügelten die Menschen auf dem Rückweg.

Die Demonstration hatte zwei juristische Nachspiele: Zwei Demonstrationsteilnehmer wurden wegen Mordversuches angeklagt und zu 3 ½ bzw. 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Bundesgerichtshof hub die Urteile 1984 auf. Der Revisionsrichter in Kiel reduzierte die Strafen auf 18 bzw. 28 Monate.

Von den Einsatzkräften wurde niemand wegen Körperverletzung angeklagt. Im Gegenteil: zehn Polizisten, der Bürgermeister von Brokdorf sowie der Landrat, der das Demonstrationsverbot verhängt hatte, bekamen im Mai 1981 in Anerkennung „ihres entschlossenen und mutigen Einsatzes für Sicherheit und Ordnung in der Wilstermarsch“ das Bundesverdienstkreuz.

Zwei Bürgerinitiativen zogen wegen des Demonstrationsverbotes vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses urteilte in seinem wegweisenden „Brokdorf-Urteil“ 1985, dass das Demonstrationsverbot verfassungswidrig gewesen sei. Die Verfassung garantiere die Demonstrationsfreiheit. Diese Versammlungsfreiheit gelte für friedliche Demonstrationsteilnehmer:innen auch, wenn Einzelne oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen würden.

Großdemonstration 1981

Genehmigungsverfahren und Klagen

Parallel zu den Protesten auf der Straße gingen das Genehmigungsverfahren und die juristische Auseinandersetzung weiter. Am 19. Februar 1981 erließ das schleswig-holsteinische Sozialministerium die 2. Teilgenehmigung, am 28. Januar 1982 die 3. und am 21. Dezember 1982 die 4. Teilgenehmigung zur Errichtung des AKW. Am 10. März 1983 wurde die wasserrechtliche Erlaubnis erteilt.

Die Berufungsverfahren gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts fanden 1981 bis 1985 vor dem OVG Lüneburg statt. Im Oktober 1983 wurde die mündliche Verhandlung der Klage gegen die 2. Teilgenehmigung in Lüneburg durchgeführt. Die Verfahren wurden vom OVG entweder als unzulässig oder als unbegründet zurückgewiesen. Andere wurden durch Klagerücknahmen der Kläger beendet. Im November 1983 erklärte die Prozessgruppe, die die Klagen seit 1976 unterstützte, dass sie wegen der offensichtlichen Parteilichkeit der Justiz an künftigen Verfahren nicht mehr teilnehmen wolle.

Am 20. Mai 1985 gab das Sozialministerium bekannt, dass es eine Änderung der 4. TG beabsichtige und im AKW Brokdorf nicht nur Uran-Brennelemente sondern auch Hochabbrand- und Mischoxid-Brennelemente aus der Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente einsetzen wolle. Dagegen gab es erneut Einwendungen und einen Erörterungstermin vom 18. bis 20. Oktober 1985.

Am 30.12.1985 erließ das schleswig-holsteinische Sozialministerium die 1. Teilbetriebsgenehmigung.

Genehmigungsverfahren und Klagen

Aktivitäten während der Bauphase

In der ersten Hälfte der 1980er Jahre flaute die Anti-AKW-Bewegung bundesweit ab. Die Strategie, den Bau von Atomkraftwerken durch Bauplatzbesetzungen als direkte Aktion real zu verhindern, scheiterte an der Bereitschaft des Staates, mit allen Mitteln gegen die Kritiker:innen vorzugehen (ungehemmte Polizeigewalt, juristische Verfolgung und Kriminalisierung der Anti-AKW-Bewegung, Verschärfung der Gesetze und Aufrüstung der Polizei). Gleichzeitig erstarkte die Friedens- und Anti-Nachrüstungsbewegung und zog die Aufmerksamkeit der kritischen Menschen und der Öffentlichkeit auf sich.

Trotzdem gingen die vielfältigen Aktionen an den Standorten weiter, auch zu Brokdorf. Der Protest hatte den Vorteil, nicht nur von der betroffenen Bevölkerung, sondern auch von den linken und linskradikalen Milieus in den benachbarten Stadtstaaten gleichzeitig getragen zu werden – nicht ohne heftige Kontroversen über die „richtige“ Strategie. Aufklärung der Öffentlichkeit, Demonstrationen und Aktionen, GeldSammeln für Prozesse, Stromzahlungsboykott, Sabotageakte – es gab viele Aktionen gegen den Weiterbau des AKW Brokdorf.

Aktivitäten während der Bauphase

Katastrophe von Tschernobyl und Demonstration gegen die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf

Am 26. April 1986 änderte sich Vieles durch die Katastrophe von Tschernobyl. Plötzlich waren die Warnungen der Atomkritiker:innen Realität geworden. Landauf, landab gab es gesperrte Kinderspielplätze, Angst vor kontaminierter Milch und große Ungewissheit über die gesundheitlichen Folgen des Super-GAUs. Neue Initiativen entstanden, unabhängige Radioaktivitätsmessstellen wurden errichtet, und viele gesellschaftliche Organisationen, die vorher pro Atomenergie eingestellt waren, fassten ablehnende Beschlüsse.

Gleichzeitig änderte sich nichts. Der Staat ging weiterhin mit aller Härte gegen Atomkraftgegner:innen vor. Am 7. Juni 1986 kamen wiederum 100.000 Menschen nach Brokdorf, um gegen die Inbetriebnahme des AKW zu demonstrieren. Der gesamte Hamburger Konvoi wurde von SEK-Einheiten der Polizei gestoppt, Autos demoliert und Demonstrant:innen verprügelt. Als am nächsten Tag etwa 1000 Menschen in Hamburg gegen das Vorgehen der Polizei demonstrierten, wurden sie über 12 Stunden von der Polizei eingekesselt und ihnen der Gang zur Toilette verwehrt („Hamburger Kessel“). Auch dieses Vorgehen wurde später gerichtlich als unzulässig erklärt, diesmal wurden vier verantwortliche Polizeiführer vom Landgericht Hamburg wegen Freiheitsberaubung verwarnt.

Demonstration gegen die Inbetriebnahme

Inbetriebnahme und kommerzieller Leistungsbetrieb

Die Katastrophe von Tschernobyl stellte die Nutzung der Atomkraft für die Energiegewinnung zur Disposition. Bis zum 26. April 1986 wurde die Möglichkeit einer solchen Katastrophe von den Atomkraftbefürworter:innen national und international geleugnet. Nach der Katastrophe wurde mit unterschiedlichen nationalen Strategien versucht, die Auswirkungen der Katastrophe auf die Atomprogramme so gering wie möglich zu halten. Allein in Italien führte die Katastrophe von Tschernobyl zum Ausstieg aus der Atomenergienutzung.

In Deutschland richtete die Bundesregierung ein Umweltministerium ein und gründete im Nachgang das Bundesamt für Strahlenschutz. Walter Wallmann (CDU) wurde der erste Bundesumweltminister. Unter Wallmann sollte sich die Sicherheitsphilosophie ändern. Nicht mehr die Verhinderung des größten anzunehmenden Unfalls (GAU) sondern seine Beherrschbarkeit sollte in den Fokus rücken. Durch nachträglichen Einbau eines Ventils sollte der Druckaufbau bei einer Kernschmelze verlangsamt werden, um eine Explosion zu verhindern (umgangssprachlich „Wallmann-Ventil“).

Die Reaktor-Sicherheitskommission, die Gesellschaft für Reaktorsicherheit, die Kraftwerkshersteller und Atomkraftwerksbetreiber erstellten diverse Gutachten zur Frage, wie ein Versagen des Sicherheitsbehälters im Notfall verhindert werden könne – gerade auch in Hinblick auf die geplante Inbetriebnahme des AKW Brokdorf. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium jedenfalls sah die Sicherheit ausreichend gegeben und erließ am 3. Oktober 1986 die 2. und letzte Teilbetriebsgenehmigung, obwohl noch gar nicht alle Stellungnahmen vorlagen. Am 14. Oktober wurde das AKW Brokdorf mit dem Netz synchronisiert, am 22. November nahm es seinen kommerziellen Leistungsbetrieb auf.

Aufnahme des kommerziellen Leistungsbetriebs

1986-2021 Laufzeit und Widerstand

Betriebsphase

Nach der Inbetriebnahme des AKW ebbte der Widerstand spürbar ab. Anders als an einigen anderen Standorten in Deutschland gab es jedoch über all die Jahre hinweg immer wieder Aktionen gegen den Betrieb des AKW. In den letzten Jahren wurde regelmäßig rund um den Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl eine Aktions- und Kulturmeile am AKW durchgeführt. Ein Höhepunkt war die Aktions- und Menschenkette am 24. April 2010 von Krümmel über Brokdorf nach Brunsbüttel. 120.000 Menschen demonstrierten so gegen die geplante Laufzeitverlängerung.

Karsten Hinrichsen, Meteorologe und Anwohner, klagte 1986 gegen die 2. Teilbetriebsgenehmigung v.a. wegen der radioaktiven Belastung durch die Abluft. Der Prozess ging zweimal durch die Instanzen und wurde letztlich 1999 vor dem OVG Schleswig endgültig verloren.

Aktivitäten während der Betriebsphase

Besondere Gefahren

Auch sicherheitstechnisch stand Brokdorf immer wieder in der Kritik. Insbesondere Schäden an den Brennelementen machten immer wieder Schlagzeilen. Bereits 1988 kam es zum Bruch eines Brennelement-Zentrierstiftes und zu Schäden an den Abstandshaltern. Am 26. August 1988 wies der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) den schleswig-holsteinischen Sozialminister Günther Jansen (SPD) an, die Wiederanfahrgenehmigung für Brokdorf zu erteilen, obwohl dieser als zuständige Atomaufsicht Sicherheitsbedenken hatte.

Auch Mitte der 1990er Jahre beschäftigten Brennelementschäden die Aufsichtsbehörden und den Deutschen Bundestag. Bei der Revision im Februar 2017 wurden im Reaktorwasser außergewöhnlich viele Schwebstoffe festgestellt, die sich als abgelöste Teile der Oxidschicht auf den Brennstäben erwiesen. Messungen ergaben, dass Grenzwerte und Zuwachsprognosen an einigen Stellen deutlich überschritten waren. Mit wachsender Oxidschicht wurde die Wand des Brennstabs dünner, es drohte sowohl ein Versagen des Hüllrohrs als auch ein Überhitzen. Ursachen dafür waren laut Ministerium Materialprobleme, eine Leistungserhöhung sowie häufigeres schnelles Hoch- und Runterfahren (Lastwechsel) des Reaktors. Fünf Monate später erteilte der schleswig-holsteinische Umweltminister die Zustimmung zum Wiederanfahren unter folgenden Bedingungen: Leistungsreduktion auf 95%, Halbierung der Lastwechselgeschwindigkeit und Erhöhung der Wasserstoffkonzentration im Kühlwasser.

Nach der Katastrophe von Tschernobyl wurden die Atomkraftwerke in der EU einem Stresstest unterzogen. Der EU-Stresstest kritisierte die mangelhafte Auslegung des AKW Brokdorf gegen Erdbeben. Während die EU eine Mindestauslegung gegen ein Erdbeben der Intensität VII forderte, ist das AKW Brokdorf nur gegen Intensität VI ausgelegt.

Besondere Gefahren

Stilllegung

Bereits am 01.12.2017 stellte der Betreiber, inzwischen als die PreussenElektra firmierend, einen Antrag auf Stilllegung und vollständigen Rückbau des AKW Brokdorf, ergänzt sieben Tage später um den Antrag auf die Errichtung eines Zwischenlagers (Transportbereitstellungshalle TBH-KBR) für die Lagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle am Standort. Vom 15. Juni bis 17. August 2020 wurden die Antragsunterlagen öffentlich ausgelegt. Aufgrund massiver Einschränkungen durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hat das schleswig-holsteinische Umweltministerium den Erörterungstermin Mitte Februar 2021 als reine Online-Veranstaltung durchgeführt.

Abgeschaltet wurde das AKW am 31.12.2021, da die atomrechtliche Genehmigung zur Erzeugung von Strom damit beendet war. Eigentlich war die per Atomgesetz zugeschriebene Reststrommenge schon vorher aufgebraucht. Durch die Übertragung der nicht genutzten Reststrommengen des AKW Philippsburg 2 auf das AKW Brokdorf konnte es jedoch noch bis zum 31.12.2021 weiterbetrieben werden.

Stilllegung