Die Auseinandersetzung über die dauerhafte, sichere Lagerung der radioaktiven Abfälle beschäftigen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten. Unterstützt durch eine Spende der Volkswagen AG konnte Aktenmaterial aus verschiedenen Beständen des Archivs Deutsches Atomerbe e.V. zum Thema erschlossen und digital zur Verfügung gestellt werden.
Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk
Die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) hat Anfang der 1980er Jahre Sicherheitskriterien für die Lagerung aller Arten radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk erarbeitet. Am 24. März 1983 beschloss der Fachausschuss Brennstoffkreislauf des Länderausschusses für Atomkernenergie diese „Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk“.
Die Sicherheitsphilosophie gründete sich vor allem auf ein Mehrbarrierenkonzept. Dieses umfasst die Abfallform, die Verpackung, den Versatz, die Endlagerformation und das Deckgebirge/Nebengestein. Einem ausreichend mächtigen, sorptionsfähigen und intakten Deckgebirge, geringen tektonischen Aktivitäten sowie möglichst geringen Wasserwegsamkeiten zwischen dem Endlagerbergwerk und der Biosphäre wurden zentrale Schutzfunktionen beigemessen. Durch einzelne oder die Summe dieser Barrieren müsse sichergestellt werden, dass nach menschlichem Ermessen keine unzulässige Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Biosphäre erfolgt.
Endlagersicherheitsanforderungsverordnung
27 Jahre später veröffentlichte das Bundesumweltministerium neue Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder Abfälle, die mit der Verordnung über Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle (Endlagersicherheitsanforderungsverordnung – EndlSiAnfV) vom 6. Oktober 2020 zur Rechtsnorm wurde.
- Künftig soll ein „einschlusswirksamer Gebirgsbereich“ die Sicherheit gewährleisten, die Forderung nach einem intakten Deckgebirge als zweite geologische Sicherheitsbarriere wurde fallen gelassen.
- Entwicklungen in einem tiefengeologischen Lager werden in Wahrscheinlichkeitsklassen eingeteilt. Mit dieser Einordnung verbunden sind unterschiedliche Sicherheitsanforderungen. Bei wahrscheinlichen Entwicklungen darf die zusätzliche Individualdosis 10 Mikrosievert/Jahr nicht überschreiten, bei weniger wahrscheinlichen Ereignissen sind es 100 Mikrosievert/Jahr.
- Das Lager soll für 1 Million Jahre sicher sein. An Stelle eines rechnerischen Nachweises dieser geforderten Langzeitsicherheit tritt der „Safety Case“, eine Zusammenstellung von Argumenten innerhalb eines bestimmten Entwicklungsstadiums des Endlagers, die die Langzeitsicherheit des Endlagers belegen, bzw. eine Darstellung der Handhabung von Unsicherheiten.
Was gilt für Schacht KONRAD?
Die Sicherheitsanforderungen für die Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle wurden seit 1983 nicht aktualisiert. Konkret heißt dies, dass Einzelpersonen durch die radioaktiven Abfälle, die in Schacht KONRAD eingelagert werden sollen, im Nachweiszeitraum mit einer effektiven Jahresdosis von 300 Mikrosievert/Jahr belastet werden dürfen. (Dies gilt für alle Entwicklungen, die Unterscheidung in „zu erwartende“ und „abweichende“ Entwicklungen gibt es hier nicht. Bei Schacht KONRAD darf somit eine deutlich höhere Strahlung als durch ein Lager mit hochradioaktiven Abfällen austreten. Die Langzeitsicherheitsberechnungen haben ergeben, dass dieser Wert auch mit 260 Mikrosievert/Jahr nahezu ausgeschöpft wird.
Auch andere Grundlagen der neuen Sicherheitsanforderungen werden bei Schacht KONRAD nicht erfüllt. Nachnutzung eines alten Bergwerks, Einlagerung in bestehende Rohstoffvorkommen, Fehlen eines einschlusswirksamen Gebirgsbereiches, nicht-rückholbare Einlagerung des Atommülls – das alles sind Ausschlusskriterien nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik.
Obwohl sich die Sicherheitsanforderungen von 2010 an die Lagerung hochradioaktiver Abfälle richten, waren sie für die Entsorgungskommission trotzdem Grundlage für ihre kritische Stellungnahme zu den Unterlagen, die das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) im Planfeststellungsverfahren für die Schließung des ERA Morsleben eingereicht hatte. Die ESK stellte prinzipiell fest, dass es keine Einschränkungen an die Sicherheitsanforderungen an das ERAM nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik gäbe, nur weil dort kein wärmeentwickelnder Abfall liegt, prüfte, welche der Kriterien an ein Lager für gering wärmeentwickelnde Abfälle übertragbar sind und forderte vom BfS den Nachweis, diese Kriterien zu erfüllen.
Die Frage, welche Sicherheitsanforderungen für Schacht KONRAD zugrunde zu legen sind, beschäftigt nun die Gerichte. Im Oktober 2024 haben die Landesverbände des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) und des Naturschutzbundes (NABU) Klage auf Rücknahme bzw. Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses Schacht KONRAD beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingereicht da das Projekt nicht dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht.
