Fundstück November 2025

Signatur: P-KA1-5-7-4-81

Im November 1975 – vor 50 Jahren – starben bei einem Unfall im schwäbischen Kernkraftwerk Gundremmingen zwei Arbeiter. Noch einen Monat zuvor hatte der in den USA veröffentlichte so genannte Rasmussen-Report zur Reaktorsicherheit das Risiko durch einen Reaktorunfall umzukommen mit 1 zu 5 Milliarden angegeben – nun gab es die ersten Toten in einem deutschen AKW.

Über die Tragik der Todesfälle hinaus kam das Unglück für die politisch Verantwortlichen zur absoluten Unzeit: Die Einstellung in der Bevölkerung gegenüber der Kernenergie stand Anfang der 70er Jahre am Scheideweg. In der Bundesrepublik war eine Anti-Atomkraft-Bewegung am Entstehen, gegen immer mehr im Bau befindliche oder noch geplante AKW regte sich Widerstand, im badischen Wyhl war im Frühjahr 1975 das Baugelände des geplanten Meilers von Gegnern besetzt worden. Die Bundesregierung und insbesondere die Bayerische Staatsregierung und die CSU fürchteten ein Erstarken dieser neuen Umweltbewegung – und so wurden der Gundremminger Unfall und seine Implikationen nach allen Regeln der Kunst heruntergespielt, verharmlost und vertuscht. War es denn überhaupt ein Atomunfall?

In der verspäteten Information der Öffentlichkeit legten die Betreiber des Atomkraftwerks, RWE und Bayernwerk,ebenso wie die Aufsichtsbehörde – das bayerische Umweltministerium – Wert auf die Feststellung, dass Radioaktivität bei dem Unfall keine Rolle gespielt habe. Der technische Leiter des AKW Gundremmingen Reinhardt Ettemeyer sprach von einem „ganz konventionellen Unfall“. Und der damalige Umweltminister Max Streibl (CSU) berichtete noch zwei Jahre später dem Landtag: „Die Radioaktivität hatte keinen Anteil an der Todesursache.“ Das Wasserdampf- Wasser-Gemisch sei nur schwach radioaktiv gewesen. In seinem Standardwerk „Geschichte der Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland“ schreibt Wolfgang D. Müller noch Jahre später, die beiden Arbeiter seien durch „nicht-radioaktiven“ Dampf umgekommen.

Tatsächlich transportierte man die Leichen ganz anders als bei einem konventionellen Betriebsunfall zur Obduktion nach München in die Strahlenschutzabteilung des Schwabinger Krankenhauses. Den beiden Männern wurden Hautteile, mehrere Organteile und ganze Organe entnommen. Diese wurden zur Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) in Neuherberg (heute: Helmholtz-Zentrum) zur radiologischen Untersuchung geschickt. Die Untersuchungsergebnisse blieben – Teil der Geheimniskrämerei – lange Zeit unter Verschluss. In einem als „Vertraulich“ gestempelten Schreiben der GSF ging der Bericht an die bayerischen Behörden und gelangte erst vor kurzem über eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) in unseren Bestand.

Die Leichen der beiden Arbeiter wurden nach der Obduktion ohne entnommene Teile in Zinksärge eingelötet und dann durch den Strahlenschutz zur Beerdigung freigegeben, ohne dass die Angehörigen sie noch einmal gesehen hatten. Die Asche der später verbrannten radioaktiven Organteile landete in der Asse.

Text: Karl Amannsberger

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