Schacht KONRAD : WissensWandel

Förderturm Schacht KONRAD 1

Die Bundesregierung hat im August 2020 ein Förderprogramm NeustartKultur zur Abschwächung der Auswirkungen durch die Corona-Pandemie im Kulturbereich aufgelegt. Innerhalb dieses Programms konnten wir von Januar 2021 bis Februar 2022 das Projekt „Endlagerprojekt Schacht KONRAD – Digitalisierung relevanter Unterlagen des Genehmigungsverfahrens und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung im Zeitraum 1982 bis 1993“ durchführen.

Projektergebnisse

An dieser Stelle finden Sie eine historische Einordnung der erschlossenen Materialien und Verlinkungen zu ausgewählten Digitalisaten sowie zu weiterführenden Informationen zu den Bestandsbildner:innen. Den Katalog aller in diesem Projekt digitalisierten Unterlagen finden Sie hier. ImArchiv befinden sich weitaus mehr Unterlagen über das Atommüllprojekt Schacht KONRAD und die wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung dazu, und es werden laufend neue Materialien abgegeben, die bei uns eingesehen werden können.

1975 Beginn der Eignungsuntersuchungen

Von 1965 bis 1976 wurde in Schacht KONRAD Eisenerz gefördert. 1975 wurde die Eisenerzförderung in Schacht KONRAD zu kostspielig, um mit den Erzimporten aus dem Ausland konkurrieren zu können. Um einer Betriebseinstellung zu entgehen, suchte der Betriebsrat nach einer Nachnutzung der Grube. Auch die Geschäftsleitung der Salzgitter AG fand Gefallen daran. „Man müsse sich eine Lagerstätte wie die des Gifhorner Trogs für alle Fälle offen halten, um jederzeit auf die dort vorhandenen Rohstoffe zurückgreifen zu können. Die Salzgitter AG könne aber aus Kostengründen die Grube nicht betriebsbereit halten. Deshalb wurden Überlegungen angestellt, ob Konrad nicht als mögliche Lagerstätte für schwach radioaktive Abfälle geeignet sei, womit jederzeit ein Zugang zum Erzlager möglich wäre.“ Die Voruntersuchungen für die Eignung der Grube KONRAD als Atommülllager wurden von der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) durchgeführt, die gleichzeitig das Atommülllager ASSE II betrieb.

Voruntersuchungen, erste Diskussionen im Rat der Stadt Salzgitter

Bereits im Oktober 1976 gründete sich der Arbeitskreis gegen Atomenergie Salzgitter. Ebenso wie der Braunschweiger Arbeitskreis gegen Atomenergie widmete er sich anfangs vor allem der politischen Arbeit gegen Gorleben (Treck 1978, Republik Freies Wendland). Bald rückte jedoch auch Schacht KONRAD in den Mittelpunkt der Aktivitäten. Im Mai 1980 folgte die Gründung des Umweltschutzforums Schacht KONRAD Salzgitter e.V., das bis 2020 als Standort-Bürgerinitiative arbeitete.

Erste Rundbriefe des Umweltschutzforums Schacht KONRAD

Am 29. Juni 1981 fand die erste Demonstration gegen die Pläne statt, das alte Eisenerzbergwerk Schacht KONRAD als Atommülldeponie zu nutzen. Ca. 750 Menschen brachten in einem Demonstrationszug von Salzgitter-Bleckenstedt einen Förderturm aus Holz zum 8 Kilometer entfernten Rathaus in Salzgitter-Lebenstedt.

1981: Erste Demonstration gegen ein Atommülllager Schacht KONRAD

1982 Einleitung des PlanfeststellungsverfahrensErstarken des Widerstandes

Die GSF kam zu dem Ergebnis, dass Schacht KONRAD als Atommülllager geeignet wäre. Eine vergleichende Untersuchung mit anderen möglichen Sandorten fand nicht statt. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hatte große Bedenken gegen die Qualität der Erkundungsuntersuchungen. Trotzdem stellte sie als damals zuständige Fachbehörde am 31. August 1982 den Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für die Schachtanlage KONRAD als Endlager für radioaktive Abfälle. Die betroffene Kommune, die Stadt Salzgitter, erfuhr von dem Antrag erst aus der Presse. Ihr Anliegen, den Antrag auf die Einlagerung von schwach radioaktivem Müll zu begrenzen, wurde von der PTB ignoriert.

Planfeststellungsantrag, Diskussion im Rat der Stadt Salzgitter, Informationsdienst der Bürgerinitiativen

Von Anfang an war der Widerstand bunt, phantasievoll und entschlossen. Nach einer Vielzahl von Aktionen und Interventionen gegenüber der Stadt Salzgitter und dem zuständigen Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) richtete dieses eine Informationsstelle in Lebenstedt ein. Wie in Gorleben sollte auch hier Wilhelm Kulke den Dialog mit den Bürger:innen führen und für Akzeptanz sorgen. Anders als in Gorleben ließen sich die Initiativen jedoch nicht auf diesen Bürgerdialog ein, sondern starteten die Kampagne „Fakten statt Kulke“.

Kulke diskreditierte sich völlig, als er vor einer Diskussionsveranstaltung im September 1982 zusicherte, dass keine KfZ-Nummern der Anti-AKW-Gegner:innen notiert werden würden, und einen Tag nach der Veranstaltung eine Kassette mit dem Mitschnitt des Polizeifunks auftauchte, die bewies, dass das ganze Gebäude weiträumig von der politischen Polizei observiert worden war.

Ausschnitt zum „Kulke-Eklat“, Infokassette 1 Arbeitskreis gegen Atomenergie Salzgitter

Im Oktober 1982 nutzten 16 Menschen, davon elf aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg, einen Besuch der Grube KONRAD, um unter Tage gegen die Atommüllpläne in Gorleben und Salzgitter zu demonstrieren. Nach mehreren Stunden und sehr handfesten Drohungen fuhren die Aktivist:innen wieder nach oben, mit der Zusage eines Gesprächstermins im damals zuständigen Bundesforschungsministerium.

Ausschnitt zur Schachtbesetzung, Infokassette 1 Arbeitskreis gegen Atomenergie Salzgitter

10.000 Menschen demonstrierten am 30.10.1982 gegen Schacht KONRAD. Vor dem Schacht selbst kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Diese setzte Hubschrauber, Wasserwerfer und Knüppel ein. Die Großdemonstration ging unter der Bezeichnung „Schlacht am Schacht“ in die Geschichte der Anti-Atom-Bewegung ein.

Fotos Demonstration 30.10.1982

Weiteres Material zur Demonstration am 30.10.1982

Nicht einmal zwei Monate nach der Demonstration beschloss der Rat der Stadt Salzgitter, die Gruppe Ökologie aus Hannover mit der Bewertung der Eignungsgutachten der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) zu beauftragen. Den Antrag dazu hatte das Landvolk Salzgitter bereits im September 1980 gestellt. Doch bis dahin hatte die Stadt jegliche kritische Begutachtung abgelehnt.

Gutachten der Gruppe Ökologie zur Eignungsuntersuchung der GSF

Politische Interessen dominierten das gesamte Konrad-Verfahren. Noch während die ersten Voruntersuchungen liefen, tauchte Schacht KONRAD 1981 bereits als Entsorgungsvorsorgenachweis in den Baugenehmigungen für die Atomkraftwerke Ohu/Isar-2 (Bayern), Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Grafenrheinfeld (Bayern) auf, 1985 für die Urananreicherungsanlage in Gronau (Nordrhein-Westfalen). 1983 schrieb die Bundesregierung in ihrem Bericht zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen: Sie gehe davon aus, „dass im Jahre 1988 mit der Einlagerung in der Grube KONRAD begonnen werden kann“.

Schacht KONRAD als Entsorgungsvorsorgenachweis

1982 bis 1991 Gutachten, Proteste, Gründung der Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V.

Ganz so schnell und einfach ging es dann doch nicht. Nachdem Gutachter der Stadt Salzgitter zu dem Urteil kamen, die vorgelegten Unterlagen hätten nicht einmal das Niveau einer Doktorarbeit, musste die PTB als Vorhabensträgerin weitere Untersuchungen durchführen.

Weitere Untersuchungen

Mitte der 1980er Jahre gab es eine grundlegende Erweiterung des Planantrages. Kriterium für die Endlagerung sollte nicht mehr die Dosisleistung sein („schwach- und mittelradioaktiv“), sondern die Wärmeentwicklung des radioaktiven Inventars. Eingelagert werden sollten alle radioaktiven Abfälle, die das umgebende Wirtsgestein um nicht mehr als 3° Celsius erwärmen würden. Damit sollten 95% des Volumens radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland in KONRAD eingelagert werden können.

Erweiterung Planantrag

Am 8. Mai 1986 erreichte ein Treck aus Gorleben Salzgitter. Das lange geplante „Endlagerspektakel“ stand ganz unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl. Im Wendland blockierten etwa 5.000 Menschen die Zufahrtsstraßen zu den Atomanlagen, in Braunschweig wurde eine Hauptverkehrskreuzung blockiert, und in Salzgitter-Bleckenstedt wurden die Demonstrierenden nach einer friedlichen Kundgebung am Sportplatz wieder einmal von der Polizei durch das Dorf getrieben.

1986: Endlagerspektakel

Die Katastrophe von Tschernobyl führte zur Ablehnung der Atomtechnik in weiten Teilen der Gesellschaft. Am 27. August 1987 gründeten etwa 20 Personen die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V., um diese Breite und neue Qualität der Anti-AKW-Bewegung vor allem in der Braunschweiger Region zu bündeln und zu koordinieren. Unter dem Dach des Vereins schlossen sich Bürgerinitiativen, Kommunen, landwirtschaftliche, gewerkschaftliche und kirchliche Organisationseinheiten, Parteigliederungen, Umweltverbände und Einzelpersonen zusammen.

1987: Gründung der Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V.

1991 Auslegung der Planunterlagen und Einwendungskampagne

Im Januar 1991 wies Bundesumweltminister Klaus Töpfer das Niedersächsische Umweltministerium an, die Planunterlagen zu Schacht KONRAD öffentlich auszulegen, obwohl die inzwischen vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchgeführt worden war und auch andere Fragen ungeklärt blieben. Das Land zog zwar vor das Bundesverfassungsgericht, doch das entschied am 10. April 1991, dass das Land einer atomaufsichtlichen Weisung Folge leisten muss, unabhängig davon, ob die Weisung inhaltlich rechtmäßig sei. Daraufhin griff Töpfer mehrmals verfahrenslenkend per Weisung ein und wies unter anderem an, das Transportrisiko im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nicht zu betrachten.

1991: Auslegung der Planunterlagen

Gefahren Atomtransporte

Mit einer bundesweiten Einwendungskampagne antwortete die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD 1991 auf die Auslegung der Planunterlagen für die Genehmigung von Schacht KONRAD. Innerhalb von zwei Monaten wurden 289.387 Einwendungen gesammelt. Mit einem Treckerkorso wurden diese Einwendungen am 13. Juli nach Hannover gebracht und der Niedersächsischen Umweltministerin Monika Griefahn übergeben.

Fotos Einwendungskampagne

Weiteres Material Einwendungskampagne

1992 bis 1993: 75 Tage Erörterungstermin Schacht KONRAD

Am 29. September 1992 startete der Erörterungstermin, der insgesamt 75 Verhandlungstage dauerte. Mit vielfältigen Aktionen verliehen die Einwender:innen aus dem ganzen Bundesgebiet ihrem Protest gegen das Projekt Nachdruck. 14 Tage nach Beginn des Erörterungstermins fand mit 7.000 Teilnehmer:innen eine der größeren Demonstrationen gegen KONRAD statt. Der Erörterungstermin zum „Projekt KONRAD“ war der längste in der Geschichte der BRD.

Fotos Erörterungstermin

Weiteres Material Erörterungstermin

Demonstration im Rahmen des Erörterungstermins

Die Kritik der Einwender:innen und ihrer Gutachter:innen während des Erörterungstermins war fundamental. Kritisiert wurde z.B. im Bereich Langzeitsicherheit:

  • Es fehle ein wissenschaftsbasiertes Standortauswahlverfahren, wie es damals bereits bei Deponien für Sonderabfälle Praxis gewesen war.
  • Für eine Langzeitsicherheitsberechnung fehlten grundlegende Daten. Weder wäre der hydrogeologische Antriebsmechanismus bekannt noch das Radionuklidinventar, das eingelagert werden soll.
  • Die in den Modellrechnungen für die Langzeitsicherheit zugrunde gelegten geologischen Daten hätten zufälligen Charakter. Sie entsprächen den Erdöl- und Erdgasbohrungen im Untersuchungsgebiet aus den 1920er Jahren, denen sie entstammten. Sie wären weder räumlich und zeitlich repräsentativ noch enthielten sie qualitativ verlässliche Informationen für den Zweck der sicheren Lagerung von Atommüll.
  • Die mögliche Ausbreitung der Radionuklide über die Schächte und alten Bohrungen wäre völlig unzureichend untersucht worden. Es fehlte sowohl der Nachweis für die angenommene Wasserdurchlässigkeit als auch für die Machbarkeit des vorgesehenen Schachtverschlusses.
  • Sämtliche Programme, mit denen die Grundwasserverhältnisse bzw. der Radionuklidtransport modelliert wurden, wären nicht validiert.
  • Es bliebe unklar, an welchem Ort, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Konzentration Radionuklide in der Biosphäre auftauchen würden.

Redebeiträge Erörterungstermin

Wortprotokolle Erörterungstermin

Der Erörterungstermin endete am 6. März 1993 und damit auch die Öffentlichkeitsbeteiligung. Das Verfahren verschwand für lange Zeit aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die Niedersächsische Genehmigungsbehörde erstellte einen Katalog von 300 Sach- und 100 Rechtsfragen, die nach dem Erörterungstermin offen geblieben waren.

Offene Fragen

Katalog Projekt Schacht KONRAD WissensWandel

Katalog Projekt Schacht KONRAD WissensWandel

Für das Material danken wir:

Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V.

Arbeitskreis gegen Atomenergie Braunschweig

INTAC GmbH (vormals Gruppe Ökologie)

Umweltschutzforum Schacht KONRAD in Salzgitter e.V.

Rudi Amannsberger, Waltraud Gerke-Wittfoot, Dieter Kaufmann, Ernst-Otto Trustorff, Jürgen Tüpker und weiteren Personen.

Für die Förderung danken wir:

Ein Projekt im Rahmen von WissensWandel. Digitalprogramm für Bibliotheken und Archive innerhalb von NEUSTART KULTUR des Deutschen Bibliotheksverbands e.V. (dbv). Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.